Medikamentöse Kopfschmerzprophylaxe

 

Substanzen zur medikamentösen Migräneprophylaxe

Die Indikation für eine Kopfschmerzprophylaxe mit Medikamenten wird dann gestellt, wenn die Beeinträchtigung hoch ist und mit nichtmedikamentösen Verfahren alleine keine ausreichende Reduktion der Kopfschmerzhäufigkeit erreicht werden kann. Als Kriterien werden 3 oder mehr Migräneattacken im Monat sowie eine ansteigende Attackenfrequenz in der Migräneleitlinie vorgeschlagen. Dabei ist jedoch nicht primär die Zahl der Migräneattacken, sondern die damit verbundene Beeinträchtigung entscheidend. Es gibt durchaus Betroffene, die 4 oder 5 Attacken im Monat mit Akutmedikation sehr gut kontrollieren können und deshalb auf eine prophylaktische Medikation verzichten und wiederum andere, deren Attacken z. B. mit heftigem Erbrechen und regelmäßigen Ausfällen am Arbeitsplatz einhergehen, sodass sie sich auch schon bei 2–3 Attacken im Monat für eine medikamentöse Prophylaxe entscheiden. Auch unzureichend behandelbare Attacken sind eine Indikation zur medikamentösen Prophylaxe, denn die Prophylaxe kann die Attackendauer und -intensität reduzieren. Das wiederholte Auftreten eines Migränestatus (Status migraenosus, Attacken, die länger als 72 Stunden anhalten) ist ebenfalls eine Indikation für eine Migräneprophylaxe. Weitere Indikationen sind unerträglich hohe Schmerzintensität, häufige und lang anhaltende Auren, die mit hoher Beeinträchtigung einhergehen, sowie bei einer chronischen Migräne mit Medikamentenübergebrauch, bei der bereits während der Medikamentenpause eine Prophylaxe begonnen werden sollte.

Beim Kopfschmerz vom Spannungstyp wird die Indikationsstellung zur Prophylaxe sehr an der Beeinträchtigung festgemacht werden müssen. Betroffenen mit chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp (das heißt 15 oder mehr Kopfschmerztage über mindestens 3 Monate) sollte eine medikamentöse Prophylaxe zumindest angeboten werden. 

Substanzen zur medikamentösen Migräneprophylaxe

Zur medikamentösen Prophylaxe der Migräne stehen eine ganze Reihe von Substanzen zur Auswahl.

Betablocker

Langjährig etabliert sind hierbei Betablocker. Eine explizite Zulassung zur Migräneprophylaxe haben nur die Betablocker Propranolol und Metoprolol. Im Allgemeinen wird Metoprolol der Vorzug gegeben, da bei Propranolol aufgrund der kurzen Halbwertszeit üblicherweise mehrfach täglich Medikation eingenommen werden muss. Die in klinischen Studien untersuchten Dosierungen liegen im Vergleich zum klinischen Alltag relativ hoch. Eine Zieldosis von 100 mg oder gar 200 mg wird bei Metoprolol aufgrund der Verträglichkeit häufig nicht erreichbar und andererseits auch nicht notwendig sein, da viele Betroffene bereits auf Dosierungen von 50 mg oder 75 mg Metoprolol gute Effekte zeigen. Kontraindikationen gegen eine Behandlung mit einem Betablocker sind Asthma bronchiale, eine ausgeprägte Herzinsuffizienz, eine Bradykardie oder eine Leitungsverzögerung im EKG. Kritisch abzuwägen ist der Einsatz eines Betablockers bei Übergewicht, Diabetes und Psoriasis. Dass Betablocker quasi automatisch mit einer Zunahme der Depressivität einhergehen, ist nicht gesichert, gelegentlich wird jedoch eine Depression als Nebenwirkung ebenso beobachtet wie eine Schlafstörung.

Topiramat und weitere Antikonvulsiva

Zur Migräneprophylaxe kann das Antikonvulsivum Topiramat eingesetzt werden. Die Zieldosis in der Fachinformation beträgt hierbei 100 mg Tagesdosis, die durch Steigerung in 25-mg-Schritten erreicht werden kann. Auch hier gilt, dass häufig bereits 50 mg oder 75 mg eine gute Wirksamkeit zeigen. Nebenwirkungen der Therapie mit Topiramat sind akrale Parästhesien, Konzentrationsstörung, Appetitlosigkeit und Schlafstörung. Topiramat wirkt u. a. als Carboanhydrasehemmer und kann so die Bildung von Nierensteinen begünstigen, deshalb sollte es bei Nephrolithiasis nicht eingesetzt werden. Bei psychiatrischer Komorbidität ist eine engmaschige klinische Verlaufskontrolle notwendig.
Für Topiramat wurden neue Daten zu den Risiken bei Einnahme in der Schwangerschaft bekannt, die zur Implementierung eines Schwangerschaftsverhütungsprogramms für Topiramat des BfArM in Abstimmung mit der EMA führten. Vor Beginn der Behandlung muss bei Frauen im gebärfähigen Alter ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden. Es muss über die Notwendigkeit einer hochwirksamen Verhütung aufgeklärt werden (Empfehlung zum zusätzlichen Einsatz einer Barrieremethode). Diese sichere Verhütung sollte auch über 4 Wochen nach Beendigung der Behandlung mit Topiramat gewährleistet sein. Die Indikation zur Behandlung mit Topiramat muss jährlich überprüft werden. Bei Auftreten einer Schwangerschaft muss die Behandlung mit Topiramat beendet werden. Grund für diese Einschränkungen sind um 2- bis 3-fach erhöhte Risiken für das Auftreten neurologischer Entwicklungsstörungen des Kindes bei Einnahme von Topiramat während der Schwangerschaft (Autismus-Spektrum-Erkrankungen, ADHS) sowie das Auftreten von Fehlbildungen wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Kann eine sichere Verhütung nicht gewährleistet werden, ist die Behandlung mit Topiramat kontraindiziert. In der Stillzeit sollte Topiramat ebenfalls nicht eingesetzt werden. 
Valproinsäure wird nicht mehr zur Migräneprophylaxe eingesetzt, da sie bei Frauen im gebärfähigen Alter kontraindiziert ist und kein pharmazeutisches Unternehmen der Off-Label-Verwendung von Valproinsäure zur Migräneprophylaxe zugestimmt hat.
Lamotrigin ist häufig zur Behandlung ausgeprägter und auch bei isoliert auftretenden Migräneauren gut wirksam ohne dabei die Kopfschmerzen relevant zu reduzieren. Üblich sind Tagesdosierungen von 75–150 mg, die Aufdosierung muss langsam in 25-mg-Schritten erfolgen, bei Hautreaktionen muss die Einnahme sofort beendet werden. Es handelt sich um eine Off-Label-Anwendung von Lamotrigin.

Flunarizin

Flunarizin wurde als Kalziumantagonist zur Behandlung von Schwindel entwickelt und zeigt eine gute migräneprophylaktische Wirksamkeit. Aufgrund seiner sehr langen Halbwertszeit kann die Substanz an jedem zweiten Tag eingenommen werden, die Dosierungsempfehlungen reichen von 5–10 mg. Die Einnahme von Flunarizin geht häufig mit einer Gewichtszunahme einher, Depressivität kann ausgelöst oder verstärkt werden, extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen werden selten beobachtet, der Morbus Parkinson gilt als Kontraindikation. Nach der Fachinformation sollte die Behandlung nach 6 Monaten beendet werden und kann bei erneuter Migränezunahme wieder begonnen werden.

Amitriptylin und andere Antidepressiva

Von den trizyklischen Antidepressiva kann Amitriptylin im Rahmen eines Schmerztherapiekonzeptes in Dosierungen von 25–75 mg am Abend mit guter Wirkung zur Migräneprophylaxe eingesetzt werden. Im Alltag empfiehlt sich häufig der Beginn mit Amitriptylin-Tropfen (1 Tropfen entspricht 2 mg), dies ermöglicht dem Patienten eine Titration entsprechend der Verträglichkeit, im weiteren Verlauf nach Aufdosieren kann dann auf die Einnahme von Tabletten umgestellt werden. Die Dosierungen von Amitriptylin, die vertragen werden, sind individuell sehr unterschiedlich. Auch die Nebenwirkungen wie Müdigkeit und Gewichtszunahme treten in unterschiedlicher Häufigkeit und Ausprägung auf, häufig sind diese Nebenwirkungen dosisabhängig. Aufgrund des verlängerten Wirkmechanismus sollte Amitriptylin bei Harnverhalt, Prostatahypertrophie und Engwinkelglaukom nicht gegeben werden, solche Beschwerden können unter Therapie auch erstmalig auftreten. Unter der Einnahme von Amitriptylin sind EKG-Kontrollen sowie Kontrollen von Blutbild und Leberwerten notwendig.
Bei ausgeprägter Müdigkeit kann eine Umstellung auf Nortriptylin sinnvoll sein, dabei handelt es sich allerdings dann um eine Off-Label-Behandlung.
Weiterhin ist als Migräneprophylaktikum Opipramol verbreitet, das jedoch keine explizite Zulassung in dieser Indikation hat. Mit Dosierungen von 25–150 mg kann eine gute Schlafregulation und häufig eine Regulation der Stressverarbeitung erreicht werden. Indikationsgerecht kann Opipramol zur Migräneprophylaxe z. B. dann eingesetzt werden, wenn die Diagnosekriterien einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41) oder die Diagnosekriterien psychologische Faktoren und Verhaltensfaktoren bei andernorts verschlüsselten Erkrankungen (hier: Migräne) (ICD10: F54) erfüllt sind.

Botulinumtoxin A

Botulinumtoxin A ist zur Behandlung der chronischen Migräne in den Dosierungen 155 oder 195 Einheiten zugelassen, dabei werden 31 oder 39 perikraniale, in Studien untersuchte, definierte intramuskuläre Punkte injiziert. Botulinumtoxin kann bei chronischer Migräne (das heißt bei 15 oder mehr Kopfschmerztagen im Monat, von denen mindestens 8 die Diagnosekriterien einer Migräne erfüllen) zur Migräneprophylaxe eingesetzt werden. Eine Kontraindikation zum Einsatz von Botulinumtoxin ist die Myasthenia gravis. Muskelkaterartige Schmerzen und gelegentlich kosmetische Nebenwirkung bei der Injektion im Stirnbereich werden beobachtet. In der Hand des Erfahrenen ist es eine überwiegend nebenwirkungsarme, gut verträgliche Therapie, die bei dem Patienten meist trotz der Injektionen auf hohe Akzeptanz stößt.

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