Kopfschmerzen: Verhaltensstrategien und nichtmedikamentöse Therapiestrategien bei Migräne

Priv.-Doz. Dr. med. Charly Gaul

Sprecherin: Dr. med. Amina Lösment (Ärztin in Weiterbildung für Innere Medizin und Nephrologie, MHBA)

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Edukation als Basis

Therapierwartungen von Kopfschmerzpatienten

Das biopsychosoziale Krankheitsmodell der Migräne

Umsetzung der Edukation im Alltag

Biofeedback

Strategien der kognitiven Verhaltenstherapie bei Migräne

Triggervermeidung und Triggermanagement

Körperliche Aktivität zur Migräneprophylaxe

 

Patienten haben ein großes Interesse an nichtmedikamentösen Therapieverfahren, da diese überwiegend frei von Nebenwirkungen sind, zum Teil eine nachgewiesene Wirksamkeit haben, weitere Komorbiditäten mitberücksichtigen können und zusätzliche Effekte auf das Gesamtbefinden haben. So kommt es z. B. durch regelmäßigen Ausdauersport zur Stressreduktion, Verbesserung des Schlafes und zur Gewichtsreduktion.

Edukation als Basis

Eine grundlegende nichtmedikamentöse Intervention, die sich als wirksam bei der Migräne erwiesen hat, ist die Edukation der Patienten über das eigene Krankheitsbild. Es ist von großer Bedeutung, dass Patienten verstehen, was beim Migräneanfall in ihrem Gehirn und Körper geschieht. Häufig ist die Aura ein Symptom, das für Betroffene angstbesetzt ist. Weiterhin sollte die Edukation sowohl die medikamentöse Akuttherapie als auch die Möglichkeiten der medikamentösen Prophylaxe umfassen. Bezüglich medikamentöser Therapien bestehen häufig Vorbehalte (zum Beispiel gegenüber Antidepressiva oder Betablockern), die durch Erläuterungen zu den Wirkmechanismen und unterstützt durch Studiendaten zur Wirksamkeit Patienten ermutigen können, adäquate und wirksame Medikation tatsächlich auch einzusetzen. Nichtmedikamentöse Verfahren, die auch außerhalb des Kontextes einer Erkrankung zum Einsatz kommen, sind außerdem im Gegensatz zu Medikamenten nicht mit dem Stigma verbunden, permanent mit „Krankheit“ assoziiert zu werden. Ausdauersport können sowohl Gesunde als auch Menschen mit unterschiedlichsten Erkrankungen betreiben. Nichtmedikamentöse Verfahren, wie Ausdauersport oder das regelmäßige Ausüben eines Entspannungstrainings, geben den Betroffenen die Möglichkeit, selbst gegen ihre Krankheit aktiv zu werden.

Therapierwartungen von Kopfschmerzpatienten

In Studien zu Erwartungen von Kopfschmerzpatienten an eine Therapie geben diese häufig an, geheilt werden zu wollen, weniger Schmerzen zu haben, weniger intensive Schmerzen zu erleiden, weniger häufig Schmerzattacken zu erleiden und insgesamt eine Verbesserung ihrer Lebensqualität zu erreichen. Heilung ist in aller Regel weder durch medikamentöse noch durch nichtmedikamentöse Therapieverfahren bei Kopfschmerzerkrankungen möglich. Schmerzreduktion und Frequenzreduktion von Kopfschmerzattacken sind realistische Therapieziele, die vermittelt werden können und die Motivation der Betroffenen, nichtmedikamentöse Verfahren regelmäßig auszuüben, stärken. Der Wunsch, selbst aktiv gegen die eigene Erkrankung vorzugehen, sowie der Gedanke, nichts unversucht zu lassen, werden sehr häufig als Motivation angegeben, gleichzeitig besteht häufig der Wunsch, einen Dauereinsatz von Pharmaka zu vermeiden. Basis der Patientenedukation ist die Vermittlung der Migräne als neurologische Erkrankung, deren hohe Beeinträchtigung bekannt ist. Die Erfahrung, dass die Erkrankung unterschiedlichste Lebensbereiche betrifft, kann dabei gut aufgegriffen werden.

Das biopsychosoziale Krankheitsmodell der Migräne

Die Migräne kann als Modellerkrankung für ein biopsychosoziales Krankheitsverständnis dienen, beruht sie doch auf einer genetischen Basis, wird durch Umweltbedingungen in ihrer Ausprägung beeinflusst und hat soziale Auswirkungen, z. B. auf Beziehungen, die Leistungsfähigkeit im Beruf und in der Freizeit. Die Migräne geht dabei mit einer erhöhten kortikalen Sensitivität einher, neurophysiologisch ist ein Habituationsdefizit nachgewiesen. Auch Lernprozesse spielen im Krankheitsverhalten und im Umgang mit der Erkrankung eine relevante Rolle. Krankheitsphänomene, die ein Betroffener kennt und versteht (z. B. eine Migräneaura) können klar benannt werden und sind dann weniger angstbesetzt. Ein gutes Modell zur Auslösung von Migräneanfällen kann am Beispiel der Migräneschwelle erläutert werden. Bei einer Disposition zur Migräne besteht eine erniedrigte Migräneschwelle, äußere Reize, Emotionen, Anspannung, Schlafmangel oder hormonelle Einflüsse führen dazu, dass die Migräneschwelle des Gehirns überschritten wird und es dann zur Auslösung des Migräneanfalls kommt. Betroffene können so lernen, dass individuell unterschiedliche Faktoren für die Auslösung eines Migräneanfalls verantwortlich sind, ein Teil davon wird im Alltag nicht zu beeinflussen sein, andere können durch gezieltes Einlegen von Pausen, Entspannungstraining oder z. B. Schlafhygiene durchaus modifiziert werden und somit Einfluss auf die Häufigkeit von Migräneanfällen haben. Schmerzhemmend können dabei Entspannung, Bewegung, positive Emotionen, Ablenkung und eine hohe Selbstwirksamkeit sein. Schmerzverstärkende Faktoren sind Anspannung, Stress, Angst und Ärger, vermehrte Fokussierung auf den Schmerz und das Erleben der Erkrankung als Bedrohung. Ziel einer nichtmedikamentösen und einer medikamentösen Migräneprophylaxe ist es also, den Abstand zwischen zwei Migräneattacken zu vergrößern und die Intensität der Kopfschmerzen sowie der Begleitsymptome zu verringern. Ein völliges Verschwinden der Migräne wird man nie erreichen können.

Umsetzung der Edukation im Alltag

Möglichkeiten zur Edukation sind das ärztliche und das therapeutische Gespräch, eine strukturierte Patientenschulung, wie sie z. B. im Rahmen einer Schmerzbewältigungsgruppe unter einer multimodalen Schmerztherapie ambulant oder stationär angeboten wird. Weiterhin wirksam können Informationsbroschüren oder internetbasierte Edukationen sein. Unterstützung bieten Selbsthilfeorganisationen, die patientenverständliches Material bereithalten. Der Wirksamkeitsnachweis vieler verhaltenstherapeutischer Interventionen ist mittlerweile erbracht, die Verfahren werden auch in den aktuellen Therapieleitlinien zur Behandlung der Migräne aufgeführt. Entscheidend ist dabei nicht unbedingt, welches spezifisches Verfahren eingesetzt wird, sondern die Tatsache, dass es einem Patienten gelingt, eine wirksame und für ihn gut durchführbare Modalität zu identifizieren, zu der er auch tatsächlich im weiteren Verlauf regelmäßig motiviert ist. Eingesetzt wird häufig die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson (PMR), aber auch Autogenes Training oder Verfahren aus dem Bereich der achtsamkeitsbasierten Therapie sowie Atementspannung. Im Kindesalter werden häufig geführte Imaginationen eingesetzt. Darüber hinaus können Methoden der Verhaltenstherapie eingesetzt werden, um ungünstige Kognitionen wie Katastrophisieren zu verringern. Die beste Wirkung zeigt die Kombination aus verhaltenstherapeutischen Verfahren und medikamentösen Therapien.

Biofeedback

Nachgewiesen ist auch die Wirksamkeit von Biofeedback, dabei werden körpereigene physiologische Signale, wie der elektrische Hautwiderstand, die Durchblutung, die Hauttemperatur oder die elektromyografisch gemessene Muskelaktivität wahrnehmbar und sichtbar gemacht. Patienten können anhand dieser sichtbaren oder hörbaren Rückmeldung lernen, unbewusste körpereigene Vorgänge zu steuern. Bei der Migräne sind hierbei mittlere bis große Effektstärken durch Biofeedback belegt. Biofeedback und Entspannungsverfahren können das allgemeine Aktivierungsniveau reduzieren, Selbstwirksamkeit aufbauen, die Körperwahrnehmung verbessern, Muskelanspannung reduzieren, von Reizen abschirmen und insgesamt eine Ablenkung vom Schmerz darstellen. Die vorbeugende Wirkung von Biofeedback ist besser etabliert als Biofeedback zur Therapie einer akuten Migräneattacke.

Strategien der kognitiven Verhaltenstherapie bei Migräne

Im Rahmen der kognitiven Verhaltenstherapien werden z. B. Teufelskreise der Erwartungsangst bearbeitet. Betroffene haben z. B. eine ängstliche Erwartung einer weiteren Migräneattacke und ihrer negativen Auswirkungen auf die Alltagsgestaltung, dies mündet in einer körperlichen Stressreaktion, in emotionaler Belastung, Aufmerksamkeit auf die Erkrankung und Grübeln, was wieder die Angst vor der nächsten Migräneattacke verstärken kann. An dieser Stelle müssen Bewältigungsstrategien im Umgang mit der Migräneattacke erarbeitet werden, dies umfasst sowohl Verhaltensstrategien als auch den Umgang mit der Medikation. Typische Situationen, in denen eine Migräneattacke befürchtet wird, müssen der Realitätsprüfung unterzogen werden. Abbau der Anspannung und Aufmerksamkeitslenkung können eine Möglichkeit aufzeigen, aus dem Teufelskreis auszubrechen. 

Triggervermeidung und Triggermanagement

Zunehmend gewinnt Triggermanagement an Bedeutung. Empfahl man Betroffenen früher, mögliche Migränetrigger (Alkohol, Schokolade und viele andere) ausführlich zu dokumentieren und dann strikt zu meiden, setzt sich heute mehr und mehr das Konzept des Triggermanagements durch. Ziel ist es, Lebensqualität zurückzugewinnen, die durch bloßes Vermeiden von Triggern verloren geht. Dabei wird z. B. erarbeitet, dass Trigger nicht in jeder Situation Migräneattacken auslösen können, dass Trigger nicht generalisiert auf alle Betroffenen angewendet werden können. Ziel ist es, eine Art Desensibilisierung gegenüber Triggern zu erreichen, dazu ist eine kontrollierte Exposition gegen einen Trigger ein Teil des Triggermanagements. Es wird dann am Schluss Trigger geben, die zu vermeiden tatsächlich sinnvoll ist, aber auch Situationen, bei denen die Akzeptanz im Vordergrund stehen sollte, da ein vollständiges Vermeiden dieser Situation weder möglich noch sinnvoll ist. Andere Trigger werden durch die Exposition als nur vermeintliche Trigger oder gut beherrschbare Migränetrigger identifiziert werden können.

Körperliche Aktivität zur Migräneprophylaxe

Sportliche Aktivität ist zur Migräneprophylaxe wirksam, die besten Daten liegen hierfür für regelmäßigen Ausdauersport angepasster Intensität vor. Es ist sinnvoll, die sportliche Aktivität unter Anleitung aufzunehmen, kann es doch passieren, dass beim Ungeübten sportliche Aktivität Migräneanfälle provoziert, diese Erfahrung führt dann wiederum dazu, dass sportliche Aktivität vermieden wird. Wird, angepasst an die eigene Leistungsfähigkeit und an Vorerfahrungen mit Sport, langsam ein Aktivitätsaufbau betrieben, dessen Ziel mehr auf Regelmäßigkeit und Ausdauerleistung liegt, kommt es deutlich weniger zum Auslösen von Migräneattacken. Empfohlen werden 3-mal pro Woche 45 Minuten Ausdauertraining; in Studien konnte nach 3 Monaten bereits ein guter Effekt auf die Migränehäufigkeit nachgewiesen werden. Insgesamt spricht die Datenlage von nichtmedikamentösen verhaltensmedizinischen Verfahren und Ausdauersport, dabei sollten die bestmögliche medikamentöse Akuttherapie und, wenn indiziert, medikamentöse Prophylaxe sowie nichtmedikamentöse Verfahren wie Ausdauersport, verhaltensmedizinische Konzepte, Entspannungsverfahren und Lebensstilmodifikationen, die z. B. Schlafhygiene beinhalten, zusammenfließen.

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